Erster Tag, Im Oktober 2020
Ein satter „Bums“, und der Bus steht still. So hatte ich mir die Anfahrt zum bayerisch-schwäbischen Jakobsweg nicht vorgestellt! Nach einem Eisenbahn-Hopping vom Odenwald nach Meckesheim, Bad Friedrichshall, Stuttgart und Aalen bin ich auf der letzten Strecke nach Nördlingen, als es passiert: Der Bahnbusfahrer setzt zum Einbiegen auf die Bundesstraße an, wird jedoch von der zögerlichen Fahrerin direkt vor ihm ausgebremst. So ein Mist, meine Freundin Angela wartet schon am Nördlinger Busbahnhof! Zum Glück ist die Sache nach 20 Minuten geklärt und wir können weiterfahren.
Am Busbahnhof werfe ich mir den schweren Rucksack über die Schultern und treffe Angela. Jetzt geht es los ins Pilger-Abenteuer!
Noch einige Worte zum Rucksack. Jeder Weitwanderer mahnt, den Rucksack so leicht wie möglich zu halten. Mit gutem Grund, denn nicht das Wandern ist das Problem, sondern das Gewicht! Irgendwann schmerzen die Schultern so schlimm, dass es unerträglich wird. Ich dachte eigentlich, ich hätte nur das Allernotwendigste eingepackt, also einen kleinen Waschbeutel mit Mini-Portionen Duschgel und Creme, Pflaster und Medikamente, etwas Wanderbekleidung, Trinkflaschen und Wanderstöcke. Aber es zeigt sich, dass man noch vieles weglassen kann: Zum Beispiel die leichte Hose für den Abend. Die zweite Wanderhose ist für diesen Zweck genauso gut. Ich brauche auch keine 4 Paar dicke Socken – zwei gute, dünne Wandersocken sind absolut ausreichend. Dazu etwas Funktions-Unterwäsche, zwei T-Shirts, zwei lange Shirts und eine dünne Jacke. Fertig! Was ich toll finde, ist meine kurze Radlerhose unter der Wanderhose, denn jetzt im Oktober ist es morgens lausig kalt.
Wir übernachten in der Nördlinger Innenstadt direkt neben der St.-Georgs-Kirche, deren Glockenschlag uns viertelstündlich „beglückt“. Nach einem leckeren Abendessen beim Mexikaner gehen wir früh ins Bett. Wir sind schon fast auf dem Weg …
Oettingen bis Wemding
Der zweite Tag, 20,5 km
Natürlich haben wir uns auf den Jakobsweg vorbereitet. Im Wanderführer aus der „Outdoor“-Reihe (ISBN 978-3-86686-488-7) ist der bayerisch-schwäbische Jakobsweg von Oettingen zum Bodensee genau beschrieben. Außerdem haben wir einen Pilgerpass, der mit den Stationen unserer Wanderung bestempelt werden soll. Beides und zusätzlich eine detaillierte Wanderkarte gibt es bei der Augsburger Pilgergemeinschaft (www.jakobuspilgergemeinschaft-augsburg.de). Der Weg gehört zu einem Netz von Wanderwegen, die quer durch Europa nach Santiago de Compostela führen. Sogar in Tallinn/Estland habe ich die Jakobsmuschel als Erkennungszeichen des Jakobswegs gefunden. Ganz Europa wollte nämlich im Mittelalter zum Grab des Heiligen Jakobus, auf Spanisch Santiago. Die Gründe dafür lagen im Wunsch, Seelenheil zu erlangen, eine große Bitte zu bekräftigen oder um die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen – so glaubte man das damals. Auf jeden Fall war das Pilgern aber eine ernste und nicht selten eine lebensgefährliche Unternehmung.
Da haben wir es heute mit Funktionswäsche, Leichtrucksack und Wanderstöcken einfacher. Dennoch bleibt es ein Abenteuer, sich Wind, Wetter und dem Weg auszusetzen. Ich hatte schon vor Jahren den Wunsch, den Jakobsweg zumindest ein Stück weit zu gehen. Jetzt endlich, mit 60 Jahren und mitten in einer beruflichen und gesundheitlichen Krise, gehe ich einfach los. Dass meine Freundin mitgeht, ist ein echtes Geschenk. Ich bin nämlich eine „Richtungs-Legasthenikerin“ und laufe garantiert nach Osten, wenn ich eigentlich nach Westen müsste. Wer weiß, ob ich alleine überhaupt angekommen wäre …
Also los nach Oettingen. Der Startpunkt des Jakobsweges liegt nur noch 30 Minuten mit dem Bus entfernt. Der nette Postmann in Oettingen weiß auch, wo die Kirche St. Jakob und das Verkehrsamt liegen. Wir finden beides, lassen uns vor der Bronzeskulptur des Heiligen Jakob fotografieren und holen uns den ersten Pilgerstempel ab. Und dann laufen wir mit flottem Schritt aus der sehr schönen historischen Altstadt hinaus, immer Richtung Santiago. Die kleinen Wegzeichen mit der gelben Muschel weisen uns zuverlässig den Weg.
Bis Megesheim haben wir keinerlei Steigungen und kommen schnell voran. Nach 8 Kilometern in Trendel hätten wir schon Lust auf eine Pause und ein Essen. Wir trösten uns damit, dass wir bald in Polsingen sind. Weil es mittlerweile regnet, hätten wir gern ein trockenes Plätzchen. Und siehe da, der Gasthof Adler hat offen! Leider gibt es hier seit Jahren kein Essen mehr, schon gar kein warmes. Aber wir bekommen einen Kaffee und eine Schorle und können unser Brot auspacken. Hier zeigt sich das große „Gasthaussterben“ der vergangenen Jahre und insbesondere des Coronajahres 2020: Gasthäuser, die im Wanderführer noch verzeichnet sind, haben längst geschlossen. Jeder Wanderer muss also selbst für seinen Proviant sorgen.
Weiter geht´s in Richtung Wemding, unserem Etappenziel. Insgesamt 20,5 km sind heute zu erlaufen, da müssen wir uns ranhalten. Eine Frau grüßt uns freundlich: Warum wir denn den Pilgerstempel in der Dorfkirche nicht geholt hätten? Sie habe uns beobachtet und könne das gar nicht verstehen. Also ein paarhundert Meter zurück und den Pilgerpass mit dem zweiten Stempel versehen. Mittlerweile schmerzen die Schultern. Es geht bergauf und bergab durch einen schönen Laubwald, der sich zu färben beginnt. Kurz vor Wemding kommen wir an die Wallfahrtskirche Maria Brünnlein.
Auf der Rückseite der Marienstatue plätschert tatsächlich ein Wässerchen herab – mitten in der Kirche! Zwei Frauen füllen dieses Wasser in zahlreiche Flaschen ab, was sich als zeitraubende Angelegenheit erweist. Das Plätschern ist aber sehr beruhigend und die Schultern freuen sich über die zeitweilige Entlastung vom Rucksack.
Die letzten drei Kilometer bis zu unserem Quartier im Gasthof zur Ente kriechen wir „auf dem Zahnfleisch“. Rücken, Knie, Schultern – alles tut höllisch weh. Und da sagt der Wanderführer, man solle nicht mehr als 10 bis 14 Kilo tragen! Nein, und auch keine 9 oder 8 Kilo, das ist zu viel! Eigentlich soll man nur 10 Prozent seines Eigengewichts tragen. Ich beschließe, am Abend meine Traglast zu reduzieren. Mein lieber Dieter wird das Päckchen in einigen Tagen mitnehmen, wenn er uns mit dem Auto abholt. Und jetzt gehen wir in die Gaststube, denn da gibt es lecker Essen!
Von Wemding bis Harburg
Dritter Tag, 17,3 km
Nachdem ich eine Fleecejacke, 4 Paar Socken, eine Hose und ein T-Shirt zurückgelassen habe, bin ich im wahrsten Sinn des Wortes ent-lastet. Darüber denke ich im Lauf des Tages nach: Was kann ich weglassen, um befreit zu sein und meinen Weg – auch im Alltag - leichter gehen zu können? Mir fällt spontan so einiges ein, darunter auch eine Entrümpelaktion zu Hause. Es ist einfach wunderbar, weniger belastet und ohne Schmerzen gehen zu können!
An der Tourist Info von Wemding treffen wir den Bürgermeister, der sich über uns Pilgerinnen freut. Wir loben sein wunderschönes historisches Städtchen und er erzählt, dass amerikanische Touristen die Häuser für moderne Nachbauten Marke Disneyland gehalten haben. Vor lauter Begeisterung verlieren wir am Ortsende zum ersten Mal den Weg, finden ihn aber am Waldrand wieder. Nach einem steilen Aufstieg sind wir an einem Steinbruch. Der Weg ist zum zweiten Mal nicht mehr sichtbar. In den Steinbruch laufen wollen wir nicht, zumal ein Schild am Waldrand darauf hinwies, dass wir uns bei einmaligem Tuten sofort auf den Boden werfen sollen. Wegen Sprengungen. Angela hat das für einen Witz gehalten. War aber keiner.
Also wo weiter? Ich finde einen gut ausgebauten Waldweg, aber in welche Richtung müssen wir? Angela fragt mich, ob ich einen Kompass auf dem Handy habe. Ja, habe ich. Außerdem wissen wir, dass wir geradewegs nach Süden müssen. Bingo, der Weg ist goldrichtig! Und nach 200 Metern finden wir auch wieder das Muschelzeichen, ganz deutlich sichtbar auf einem Baumstamm. Das Fazit aus diesem Erlebnis: Wir haben alles dabei, was wir brauchen. Also keine Angst!
Die 9-km-Vormittagsetappe bis Gosheim zieht sich. Angela hat Rücken, mein Knie schmerzt. Endlich kommen wir in Gosheim an, über eine Brücke und an einer Mauer vorbei und mitten in den Ort. Zwei Frauen machen uns in Albschwäbisch klar, dass es kein Gasthaus gibt, nur einen Laden im Nachbarort, und der sei jetzt um halb eins auch geschlossen. Eine weitere Frau auf dem Friedhof neben der Kirche meint, wir sollten unsere Flaschen nicht mit dem Wasser aus dem Wasserhahn auffüllen, denn das sei ungefiltertes Brunnenwasser. Aber die Bäuerin gegenüber, die sollten wir von der Agnes grüßen und sie bitten, uns Wasser zu geben.
Und diese Anregung führte uns zu einem der schönsten Erlebnisse des Jakobswegs. Wir also über die Straße rüber und zur Haustür des Bauernhauses. „Guten Tag, wir sind Jakobspilgerinnen und sollen Sie von der Agnes grüßen. Könnten Sie uns etwas Wasser geben?“, sage ich. Kurze Zeit später kommt die Bäuerin heraus, eine junge Frau in moderner Kleidung. Sie lässt uns nicht nur unsere Wasserflaschen auffüllen, sondern bietet uns sogar noch einen Kaffee an. Ein paar Minuten später sitzen wir auf der Bank vor dem Haus, trinken Kaffee bzw. Tee und essen ein süßes Stückchen, denn der Bäckerwagen war gerade im Dorf und die Bäuerin hat eingekauft. Neben uns schnurrt die Haus- und Hofkatze. Himmlisch!
Jakobspilger gehören zu einer Gemeinschaft, das haben wir auf der Wanderung gelernt. Man wandert nicht allein vor sich hin, sondern bildet ein Netzwerk von Menschen, die zumindest ein gemeinsames Ziel haben: Santiago de Compostela. Es gibt viele auf dem Weg, die dabei helfen wollen. Sie schenken den Pilgern Wasser, bieten ein Plätzchen zum Ausruhen oder sogar einen Schlafplatz. Kaum, dass wir auf der Straße in unsere Karte schauen, hält jemand an und fragt, wo wir hinwollen und ob er uns den Weg zeigen kann. Das hatten wir nicht erwartet. Schön!
Am Nachmittag geht es bergauf auf die Monheimer Alb. Wiesen, einzelne Bäume, blauer Himmel und dicke Wolken – ein sagenhaftes Panorama. Am Waldrand verlieren wir den Weg zum dritten Mal an diesem Tag. Spaziergänger weisen uns zumindest die richtige Richtung. Am Waldrand entlang wandern wir und wandern und wandern. Plötzlich, als wir aus dem Wald heraustreten, sehen wir die Burg von Harburg wie eine Fata Morgana auf dem gegenüberliegenden Berg. Sieht aus wie im Märchen! Wir laufen weiter, humpeln über die Wörnitzbrücke, steigen steil auf und auf der anderen Seite nach Harburg hinab. Mein Knie quietscht und eiert mittlerweile!
Endlich das Hotel Zum goldenen Lamm, dessen Tür just in dem Moment geöffnet wird, als wir ankommen. Geschafft, wir haben beide ein schönes Zimmer mit Blick auf die Burg, und das Abendessen wartet im Haus!
Harburg bis Donauwörth
Vierter Tag, 13,6 km
Die heutige Etappe ist kurz, hat es aber trotzdem in sich. Ade, Harburg, mit deiner tollen Burg hast du uns sehr überrascht! Wir überqueren bei sehr frischen Temperaturen die alte Steinbrücke über die Wörnitz und wandern am Ortsrand entlang und über ausgedehnte Felder bis zu einem wunderschönen Wald. Der Jakobsweg zeigt sich hier als ausgebauter, gut gehbarer Waldweg, der breit und behäbig immer bergauf und bergab führt. So könnte das weitergehen, zumal die Laubfärbung beginnt. In diesem Wald trifft der bayerisch-schwäbische auf den fränkischen Jakobsweg, der von Kaisheim kommt. Wir können also 5 km Umweg gehen und in Kaisheim auf ein warmes Mittagessen hoffen – oder den kurzen Weg gehen und das Mittagessen auf abends verschieben. Wir entscheiden uns für die kurze Variante.
Leider gibt es auf dem Weg kaum Rastplätze. Wir setzen uns also auf zwei Baumstümpfe und schauen missmutig in den Himmel, der gerade in diesem Moment beschließt, uns mit Regen zu „beglücken“. Nach einem kurzen Tee-und-Käsebrot-Vesper machen wir uns wieder auf den Weg, denn unser Rastplatz sieht verdächtig nach Wildsau-Suhle aus. Aber oje, Angela beginnt zu humpeln. „Missetäter“ ist ihr Knöchel, an dem ständig der Wanderschuh reibt. So geht das nicht, die Haut ist schon rot und geschwollen. Also die leichten Ersatzschuhe auspacken und weiterlaufen.
Donauwörth ist jetzt schnell erreicht, und eine nette Passantin weist uns den Weg zur Reichsstraße, wo unser Hotel liegt. Schnell noch Wäsche durchs Wasser ziehen – die Shirts riechen schlecht. Hat jemand einen Tipp, woher man „nicht stinkige“ Funktionswäsche bekommt? Wir holen uns bei der Tourist Info einen Pilgerstempel ab, essen beim Italiener um 16 Uhr nachmittags Pasta und suchen danach Wanderschuh-Ersatz für Angela. Zum Glück gibt es einen gut sortierten Sportladen in Donauwörth mit vielen Schuhmodellen. Angela entscheidet sich für einen flachen Wanderschuh aus nässeabweisendem Goretex, der den Knöchel ausspart und ihr von nun an beschwerdefreies Wandervergnügen garantiert. Wunderbar!
Donauwörth bis Kloster Holzen
Fünfter Tag, 16,7 km
Heute ist der Tag, an dem wir ein warmes Mittagessen bekommen. Mit dieser erfreulichen Aussicht wandern wir am Morgen in Donauwörth los. Wir traben durch die Stadt, über die Donaubrücke und das Flüsschen Schmutter. Nach gut 9 km sind wir in Mertingen, wo wir zuerst die Kirche St. Martin besuchen. Ich krame nach meinem Corona-Mundschutz und finde ihn nicht. Ohne Mundschutz keine Kirche und kein Restaurant! Eine nette Frau bietet mit ihren an, „ich habe ihn aber schon benutzt!“. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn würde in Ohnmacht fallen … Zum Glück habe ich einen zweiten Mundschutz dabei.
In der „Alten Brauerei“ erwartet uns ein sehr leckeres vegetarisches Curry mit knackiger Gemüsebeilage. Als ich den schweren Rucksack wieder aufsetze, tun mir die Schlüsselbeine total weh. Ich lege ein zusammengerolltes Unterhemd darunter und habe keine Schmerzen mehr. Das nächste Mal sorge ich für einen Schulterschutz!
Über Felder wandern wir nach Süden, kommen nach Druisheim und dort zu einem schön gestalteten Garten. Der Besitzer hat hier einen stilisierten Jakobsweg aus Steinchen gelegt und einen Wanderer aus Cortenstahl draufgestellt. Der bewegt sich auf einen Wegstein zu, auf dem steht: „Santiago de Compostela 2836 km“. Na dann!
Ein Ehepaar, das gerade an der Kirche arbeitet, schickt uns zur „Kapelle zur schmerzhaften Muttergottes“. Wir sollen ruhig gegenüber beim Kirchenpfleger klingeln, der uns die Kapelle gerne zeigen werde. Es ist eine wunderbar erhaltene Barockkapelle mit einem reich geschmückten Hochalter und Fresken. Die Kapelle gehöre zum Kloster Holzen, deshalb sei sie so prächtig gestaltet, erzählt uns die Frau des Kirchenpflegers. Das Dorf sei sehr froh, ein solches Kleinod zu haben.
Von hier aus ist es nicht mehr weit zum Kloster Holzen, das einsam und riesig im Wald aufragt. Wir steigen die Treppenstufen empor und staunen über die Ausmaße dieses ehemaligen Klosters, das heute ein Hotel mit Tagungsstätte und eine Behindertenwerkstatt beherbergt. Unsere Zimmer liegen im Klostergasthof nebenan und sind modern ausgestattet. Wir bekommen als Jakobspilgerinnen sogar einen sensationellen Rabatt auf den Zimmerpreis. Dafür müssen wir nur unseren gestempelten Pilgerpass vorlegen. Dankbar streifen wir ohne Rucksäcke durch den Klostergarten und das Wäldchen. Am Abend gibt es eine leckere Suppe für mich und einen Salatteller für Angela im Klostergasthof.
Kloster Holzen bis Biberbach
Sechster Tag, 14,7 km
Ein tolles Frühstück erwartet uns im Speiseraum des Klosters: Von Brot, Brötchen, Käse, Wurst, Lachs, Eiern bis zum Birchermüsli mit Obst gibt es alles, was das Herz begehrt. Draußen ist es allerdings – pardon – saukalt und es regnet. Wir ziehen die Regenponchos über und machen uns auf den Weg.
Mehr oder weniger am Flüsschen Schmutter entlang führt der Weg über Blankenburg und Kühlenthal direkt nach Süden. Mittags ist kein trockener Rastplatz zu entdecken. Da hat Angela eine geniale Idee: Auf dem Weg stehen immer wieder mobile Hochsitze für Jäger, also kleine Häuschen auf Anhängern. Wir klettern die Leiter hoch – und siehe da, die Tür lässt sich öffnen. Drinnen haben wir es trocken und warm, packen unsere Thermosflaschen und Brote aus und genießen ein Vesper mit Fernblick.
Am Mittag wandern wir weiter nach Markt, ein Gemeindeteil von Biberbach. Hier werden wir von einer tollen weißen Burg mit höchst eigenartigen Türmen überrascht. Es ist nun nicht mehr weit nach Biberbach, wo wir Zimmer im Gasthof Magg gebucht haben. Herr Magg kommt extra zum Gasthof, wo wir schon um 13.30 Uhr angekommen sind. Der Gasthof selbst ist allerdings eine große Enttäuschung: eiskalte Zimmer, der Charme einer altmodischen Jugendherberge und eine Gaststube, in der es nach Frittierfett riecht. Der Preis ist dann auch noch viel höher als im Wanderführer beschrieben.
Wir verziehen uns in Richtung Kirche St. Jakobus und Laurentius und besuchen hier das „Herrgöttle von Biberbach“, ein großes romanisches Kreuzbildnis, Ziel vieler Wallfahrer. Zu unserem Glück gibt es seit neuem ein Café in Biberbach: „Edith – Grünes Gutes Gesundes“. Edith nimmt uns freundlich auf, serviert uns sensationelle Gemüsestrudel und Gemüse-Getreide-Teller und lässt uns stundenlang an einem gemütlichen Platz neben der Heizung Zeitschriften anschauen. Ich entdecke viele Rezepte, die ich zu Hause ausprobieren möchte. Danke, liebe Edith, für deine Fürsorge! Wir sind NICHT krank geworden, wahrscheinlich auch, weil wir so warm und kuschlig beim Kerzenschein sitzen durften!
Von Biberbach bis Augsburg
Siebter Tag, 22,5 km
Augsburg ist Corona-Hotspot. Wir beschließen also, nur bis Gersthofen zu laufen, also etwa 14 km. Der Weg von 22,5 km am letzten Tag wäre außerdem zu anspruchsvoll, um Angelas Zug um 17.30 sicher zu erreichen. Über Eisenbrechtshofen und Gablingen geht der Weg viel zu häufig auf Asphalt in Richtung Gersthofen. Nur einmal sind wir in einem kleinen Wäldchen und entdecken hier einen tollen Picknickplatz an der Schmutter. Es ist wärmer als in den vergangenen Tagen und regnet kaum noch – fast schon ideale Bedingungen. Wir schauen auf das Wasser und sind sehr entspannt.
Mittags geht es weiter nach Gersthofen. Hier führt der Jakobsweg direkt an der Hauptverkehrsstraße entlang, was nach der stillen Zeit in bayerisch-schwäbischen Wäldern der reine Kulturschock ist. In Gersthofen wandern wir am riesigen Humbaur-Werk (Anhänger aller Art) und immer am Stadtrand entlang. Über einen Wanderweg kommen wir schließlich in die Stadtmitte und zur freundlichen, modern gestalteten Kirche St. Jakobus. Eine freundliche Gersthofenerin nimmt unser Abschlussfoto auf.
Und damit sind wir schon am Ende. Wir wandern noch über den Lech. Auf der anderen Seite wartet auf einem Parkplatz mein lieber Dieter, der schon in zwei Hotels unsere „Hinterlassenschaften“ aufgesammelt hat. Er fährt Angela zum Bahnhof und mich mit auf einen schönen Campingplatz. Am nächsten Tag fahren wir beide den Weg zurück und besuchen all die Orte, die ich mir erwandert habe. Das Wetter wird immer schöner …
Mein Fazit: Pilgern?!
Würde ich den Weg wieder gehen, wenn ich wüsste, was mich erwartet? Ja. Es ist eine großartige Erfahrung, auf sich selbst gestellt zu sein und alles dabei zu haben, was man braucht. Zusammen mit meiner Freundin habe ich den Weg geschafft, auch wenn es „nur“ knapp 100 km waren. Ich habe festgestellt, dass ich auch bei, sagen wir mal, sub-optimalen Wetterbedingungen unterwegs sein kann. Sicherlich haben viele Leute uns bedauert, als sie uns mit den Rucksäcken durch den Regen stapfen sahen. Für uns war es aber gar nicht schlimm. An die Temperaturen gewöhnt man sich, und wir wurden nie pudelnass. Mein Lungenproblem wurde eher besser als schlimmer. Das ist die wirklich gute Nachricht.
Pilgern ist eine gute Sache, weil es nicht um Sport geht und auch nicht um das Wandern an sich. Es geht darum, Erfahrungen mit sich selbst und mit einem Weg zu machen, den Tausende schon gegangen sind. Alle wollten Sinn finden und eine Frage oder Aufgabe lösen. Diese spirituelle Dimension des Weges ist sein Geheimnis – und die Verbindung mit den Menschen, die man überall findet.
Also auf zum nächsten Stück Jakobsweg!!!!
Noch einige Tipps:
- Sitzkissen mitnehmen
- Bekleidung in wasserdichte Beutel packen
- Schal, Mütze und Handschuhe nicht vergessen
- Wanderstöcke helfen sehr
- Pilgerpass und Wanderkarte
- Gut sind Schulterpolster zum Schutz der Schulterknochen
Abfedernde Schuheinlagen (für Jogger) und gute dünne Wandersocken sind ihren Preis wert!